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BORING TWENTIES

Boring Twenties

Die Zwanziger Jahre: eine Ära, die an Partys denken lässt, an denen die Gäste mit Schiebermützen und Federboas Charleston tanzten, an denen «Flapper Girls» sich über orthodoxe Geschlechternormen hinwegsetzten und Zigaretten rauchten. Berauschend und golden – «roaring» wie es im englischen Sprachraum heisst – waren diese Jahre, die auf ein Jahrzehnt geprägt von Krieg, Gesundheitskrise und wirtschaftlicher Rezension folgten. Die «Zwanziger Jahre» brachten aber nicht nur soziale und politische Veränderungen mit sich, sondern hatten auch einen grossen Einfluss auf die Künste. In Berlin, Paris, London, Chicago, Los Angeles und New York bildete sich eine Grossstadtkultur heraus: Jazz-Musik, vertonte Filme, Radio und das Automobil gehörten ebenso zum Lifestyle wie die Rückbesinnung auf die Qualitäten des Handwerkes. Der Jugendstil und die arts&crafts-Bewegung erreichten in diesen Jahren ihren Höhepunkt. Vor allem die späten zwanziger Jahre waren eine Ära der kulturellen und wirtschaftlichen Erfolge, eine Zeit, in der es den Menschen an nichts fehlte, sie ihren Rausch auslebten, sich dem Massenkonsum hingaben und – ein paar Jahre später – inmitten einer Katastrophe aufwachten.

Die zwanziger Jahre des 21. Jahrhunderts erscheinen als Double der Vergangenheit. Nach einem Jahrzehnt, in dem Tausende von Menschen vor Bürgerkriegen flüchteten, befinden wir uns inmitten einer weltweitenGesundheitskrise. Folgen nun nach der Krise wiederum Jahre des Rausches und der  Unbekümmertheit? Karl Marx schrieb im Jahr 1852, dass «Hegel irgendwo [bemerkte], dass alle grossen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.» Hat Marx recht und es folgen nun Jahre der Ohnmacht, der Leere, der Langeweile?

Oder vielleicht auch Jahre des Zynismus, der Ironie, des Überdrusses?
Die Ausstellung «Boring Twenties» ist eine Persiflage auf die «Roaring Twenties»: Inmitten eines alten Versuchslokals der Firma Sulzer nehmen Bene Andrist, Magdalena Baranya, Jürgen Baumann, Andriu Deplazes, Michael Felix Grieder und Johanna Müller mit ihren zeitgenössischen Kunstwerken Bezug auf den Zeitgeist von Jugendstil und arts&crafts, auf den Konsumwahn und die Moderne. Wer weiss, vielleicht gelingt es uns in der Ära der «Boring Twenties» einen Schritt zurück zu machen, den Blick auf die eigene Gegenwart zu schärfen und diese frei von ihren Doublen und Mythen zu erkennen.

Sandra Biberstein, Winterthur, 2020
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